PASSUGGER GESCHICHTEN | № 2
Churer Wochenmarkt
Die Churer Altstadt, nur den sprichwörtlichen Steinwurf vom Passugger-Werk, das in Araschgen, also ebenfalls auf Churer Stadtgebiet liegt, entfernt, ist jeden Tag ein schöner Ort. Gepflegte Gebäude, belebte autofreie Gassen, eine bunte Auswahl an Cafés und Restaurants und viele individuelle Läden — sogar ein Musikhaus in vierter Generation kann sich hier halten — machen sie überaus lebens- und besuchenswert.
Als besonders lohnenswert jedoch hat sich der samstägliche Besuch zwischen Mai und Oktober etabliert. Jeweils am Samstagvormittag verwandeln sich dann zwei der Kernsträsschen, die Obere und Untere Gasse, in einen unvergleichlichen Bauernmarkt.
Ein Sinneseindruck Anfang Mai.
Gibt es ein Bild, das besser «Frühling» sagt als frisch gestochener Spargel? Angeordnet neben zarten, hellorangen Rüebli und vor dichten Bünden mit Frühlingszwiebeln? Stefan Walter weiss bestimmt, welchen Eindruck er vermittelt, als er zum Rundgang über den Churer Wochenmarkt bittet; er ist seit 2011 Präsident des organisierenden Vereins.
Unser Spaziergang den Ständen entlang geht nur langsam voran. Überall wird Walter begrüsst, nimmt er sich Zeit für ein kurzes Gespräch, beantwortet er Fragen — die Marktsaison hat eben erst begonnen. Dem Besucher lässt das genügend Zeit, sich gründlich umzusehen. Augenfällig ist allem voran die reiche Vielfalt, die hier angeboten wird. Auf den ersten Blick überrascht das, hat Walter doch erklärt, das ganze Angebot komme ausschliesslich aus Graubünden. Doch es ist einfach so, dass hier die ganze Fülle des breitgefächerten Graubündner Landwirtschafts-Angebots zusammenkommt. Und die ist schon am ersten Tag des Markthalbjahres gross.
Angefangen bei Backwaren — Brote in allen möglichen Formen und Zusammensetzungen und duftendes Süssgebäck, dem man nicht widerstehen mag, auch wenn das Frühstück erst eine Stunde zurückliegt. Dann Gemüse — frisch natürlich, dank kurzer Wege vielleicht frischer als anderswo, aber auch aus dem Lagerkeller; Sauerkraut etwa — und Salate. Früchte werden jahreszeitlich bedingt gerade nur getrocknet angeboten; bald ändert sich das wieder. Das Gleiche gilt für die beliebten (Stein-)Pilze.
Nach und nach füllt sich meine Einkaufstasche. Spargeln natürlich. Ein Kopfsalat, Radieschen. Noch steht kein Menu fest.
Es gibt Eier, Nudeln und immer wieder Milchprodukte. Frische Milch, Joghurt, Quark, Butter und Käse von der Kuh, der Geiss, dem Schaf; frisch, gereift, mild, rezent, mit Kräutermantel; was das Herz begehrt! So ist das auch bei den Wurstwaren. Ob frisch — wer Glück hat, findet neben der klassischen Auswahl auch Schafs- oder Ziegenwürste — oder getrocknet in Form von Salsiz, Bergschwein-Salami oder Andutgel; die Auswahl fällt nicht leicht. Daneben Bündnerfleisch und andere Trockenfleisch-Spezialitäten, Frischfleisch — aktuell unter anderem Gitzi —, Geflügel und natürlich Wildspezialitäten; wir sind hier schliesslich in Graubünden. Und auch Fisch ist im Angebot; aus einer Zucht im Val Lumnezia.
Doch damit nicht genug. An verschiedenen Ständen gibt es Setzlinge für den eigenen Garten oder Balkon und bald auch schon wieder Blumen, die sich in der heimischen Vase genau so gut machen wie auf den Feldern und Wiesen, auf denen sie gedeihen, bevor sie am Freitag geschnitten werden, um am Samstag hier in Chur den Marktbesuchern Freude zu bereiten.
Die Einkaufstasche wird schwerer. Das Nachtessen konkretisiert sich. Jetzt noch der richtige Rotwein. Und ein Schnaps, vielleicht?
Mein Gastgeber, seit zwölf Jahren mit eigenem Laden an der Oberen Gasse vertreten und «bis heute ein Fan dieser einmaligen Altstadt», nimmt belustigt zur Kenntnis, dass ich eine zweite Stofftasche auspacke. Er scheint sich zu freuen, dass ich, wie viele andere Marktbesucher an diesem Samstag, mit Begeisterung einkaufe. Kein Wunder, die Qualität stimmt. Regionalität ist gesetzt. Bei rund der Hälfte der gut 30 Marktstände werden Bio-Produkte angeboten. «Wir haben ein ziemlich strenges Marktreglement», betont Stefan Walter. Danach sind nur einheimische Bauern mit Waren aus eigener Produktion zugelassen. Hinter praktisch allen Ständen stehen dann auch die Bäuerinnen und Bauern, die die Waren produzieren, persönlich. «Frische und Qualität sind zentrale Kriterien», fährt der gebürtige Bieler fort. «Von Beginn an war das Ziel dieses Markts, Besuchern gute einheimische Produkte direkt vom landwirtschaftlichen Hof anzubieten.»
Dieser Beginn liegt inzwischen 30 Jahre zurück. Der Grundgedanke scheint rückblickend äusserst fortschrittlich, fast revolutionär. Heute ist «think global, buy local» ja zweifellos in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Aber 1987? Ein Blick ins seit damals unveränderte Marktreglement zeigt: Die Vision war sogar noch grösser. Neben den lokalen Aspekten und der Frische wollte man schon in jener Zeit auch die Attraktivität der Altstadt steigern, den saisongerechten Einkauf fördern und auch explizit «das Gespräch zwischen Produzenten und Konsumenten erleichtern.» Stefan Walter weiss, dass letzteres bis heute ein wichtiges Argument für den Marktbesuch ist: «Für viele Einheimische ist unser Markt eine feste Grösse in der Wochenendplanung. Er ist aus dem Churer Leben genau so wenig wegzudenken wie aus der Altstadt.»
Die Aussteller kommen heute aus allen Teilen des Kantons; alleine drei aus den relativ entlegenen italienischsprachigen Regionen haben wir angetroffen. So wird bei mir heute Abend unter anderem eine Torta di Pane aus dem Misox aufgetischt.
Der Besuch am Churer Wochenmarkt kommt einer farbenfrohen Reise durch die landwirtschaftliche, kulinarische und sprachliche Diversität Graubündens gleich. Dieses Erlebnis suchen auch die vielen in- und ausländischen Besucher, die man hier antrifft. Man erkennt sie daran, dass sie eher Proviant einkaufen als Wochenmengen.
Meine Einkaufstaschen sind inzwischen voll. Ich trage ein rein bündnerisches Nachtessen und ein ebensolches Sonntags-Frühstück mit nach Hause. Dazu verschiedene Honig- und Konfitüren-Varianten und zwei Sirups, die mir noch lange süsse Erinnerung an diesen unvergleichlichen Bauernmarkt in der schönen Altstadt von Chur sein werden.